1 Euro pro Tag für freie Fahrt im Nahverkehr. Das ist eine tolle Nachricht fürs Marketing. Und so war es auch in Wien, wo dieser Preis das Ergebnis eines Koalitionsvertrages war. Die Wiener Grünen hatten einst im Wahlkampf noch deutlich weniger gefordert: 100 €
Von dieser Geschichte und der Finanzierung des Nahverkehrs in der österreichischen Bundeshauptstadt wissen jedoch in Deutschland nur wenige. Politisches Marketing endet bei der Feststellung „Die Österreicher können das!“ Dann sollten wir das in Deutschland auch hinkriegen.
Aber auch über mittel- und langfristige Folgen der 365-Euro-Jahreskarte wird in Deutschland nicht gesprochen. Die Probleme sind im politischen Wien tabuisiert. Ein einflussreicher Nahverkehrsbeamter – das österreichische Pendant zu einem Nahverkehrspolitiker – sagte mir einmal: „Das 365-Euro-Ticket ist die Hölle!“ Das bezog sich auf die Finanzierung des Nahverkehrs, da der Preis politisch nicht steigerungsfähig sei. Zitiert werden will er nicht.
Mythen über Zusammenhänge
In Deutschland kommen Forderungen nach Einführung entsprechender Angebote in einzelnen Städten, ganzen Verkehrsverbünden oder sogar bundesweit mit dem Argument des Klimaschutzes daher. Wäre der Nahverkehr preiswerter zu nutzen, dann würden ihn mehr nutzen. Ein Mythos! Es gilt hier nicht, dass jedes Angebot über den Preis einen Käufer findet.
Allein das stimmt nicht, wenn sich die Zahlen in Wien angeschaut werden:
Keine Veränderung beim Modal Split
Vor Einführung der 365-Euro-Jahreskarte im Jahr 2012 lag der Anteil des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) in Wien bei 37 %. Er stieg dann auf 39 % und liegt nun bei 38 %. Es gibt keine Veränderungen! Die 365-Euro-Jahreskarte hat den Modal Split nicht verändert!
43,5 % der Erlöse des Nahverkehrsunternehmens Wiener Linien stammen aus der Jahreskarte im Jahr 2018, im Jahr 2010 waren dies 27 %; der Anteil anderer Produkt ist entsprechend gesunken. Das Wachstum der 365-Euro-Jahreskarte geht zu Lasten der Wochen- und Monatskarte. Seit 2016 werden mehr 365-Euro- Jahreskarten verkauft als Monatskarten zum Vollpreis. Das 365-Euro- Jahres-Ticket ist das unergiebigste Produkt.
Was sich positiv auswirkt sind 200.000 zusätzliche Einwohner seit der Einführung der 365-Euro-Jahreskarte. Ansonsten gilt:
Die Wiener 365-Euro-Jahreskarte ist ein Scheinriese!