Diese Frage lag auch auf der Hand, als die berechtigte Kritik an dem laut wurde, was da beschlossen wurde: Wo war den die Opposition? Claudia Roth (Grüne) konnte in einer eigenen Pressekonferenz zur Kritik an Gesetz und Verfahren dazu erklären: „Natürlich waren wir da.“ Und sie stellte fest: „Wir haben geredet.“ Das ist falsch. In den 57 Sekunden hat niemand außer der präsidierenden Parlamentspräsidentin geredet. So war es von den Fraktionen beschlossen worden. Das ist ein wenig schade, denn die Reden geben die berechtigte Kritik wieder.
Ins Gegenteil verkehrt: Im Bundestag wurde aus opt-in ein opt-out
Der jetzt vom Plenum des Bundestags beschlossene Gesetzentwurf soll das Melderecht, für das der Bund seit der Föderalismusreform I (2006) zuständig ist, bundeseinheitlich regeln und fortentwickeln. Die Fortentwicklung laut Plenumsbeschluss sieht demnach vor, dass die Bürger explizit bei der Meldebehörde, in der Regel ihrer Gemeinde, angeben müssen, falls ihre Daten nicht für Zwecke verwendet werden dürfen. Die Verwendung für Werbung ist auch nur untersagt, wenn dies explizit gewünscht wird oder vom Abfragenden nicht als Grund angegeben wurde. Allerdings dürfen die einmal für Werbezwecke erfassten Daten Dritter – also der Werber und Adresshändler – mit den Bestandsdaten abgeglichen werden. Also noch schlimmer: Das gilt auch, wenn die Einwilligung dem Dritten (vermeintlich) vorliegt, aber der Betroffene gegenüber der Meldebehörde die Verwendung für Werbezwecke (eigentlich) widersprochen haben. Es handelt sich um ein opt-out, das sogar hinsichtlich des Abgleichs mit Bestanddaten Dritter eingeschränkt ist. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene opt-in-Lösung, bei der explizit erklärt werden muss, dass der Betroffene das will, wurde in der parlamentarischen Beratung ins Gegenteil verkehrt.
Die nachfolgende Übersicht zeigt, was die Bundesregierung in den Bundestag eingebracht hat und was das Plenum nach Änderungen im Innenausschuss mit § 44 Einfache Registerauskunft beschlossen hat:
Was die Bundesregierung wollte: | Was der Innenausschuss beschloss: |
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(3) Die Erteilung einer einfachen Melderegisterauskunft ist nur zulässig, wenn
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(3) Die Erteilung einer einfachen Melderegisterauskunft ist nur zulässig, wenn
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(4) Es ist verboten, Daten aus einer Melderegisterauskunft zu Zwecken der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden, |
Die Verdrehung ins Gegenteil geht noch weiter. Wie bisherige Landesmeldegesetze kennt das neue Melderecht auch die Auskunft über Internetportale. Der elektronische Übermittlung der einfachen Registerauskünfte konnte bisher widersprochen werden, was bei der Änderung im Innenausschuss auch entfiel. Die wichtigsten Änderungen habe ich in diesem PDF-Dokument dargestellt: Gegenüberstellung des Entwurfs des Bundesministeriums des Inneren.
Was geschah im Innenausschuss?
Angesichts des EM-Spiels mag es zu einem kurzzeitigen Demokratieversagen gekommen sein. Keine Sorge, die Sicherungen funktionieren und die im Bundesrat vertretenen Landesverwaltungen werden dies korrigieren. Laut Reden im Protokoll wäre es aber eh so gekommen, da hier nur Änderungen aus einer (nicht öffentlichen) Sitzung des Innenausschusses vollzogen worden. Bemerkenswert ist, wie diese Änderung von opt-out zu opt-in dort zustande kam. Da kann spekuliert werden, da gibt es Schuldzuweisungen. Irgendwie waren Politiker der Koalition aus CDU/CSU und FDP daran beteiligt. Sie haben die Änderung vorgeschlagen, offenbar vorher im Zusammenspiel mit der Ministerialverwaltung erarbeitet und dann mit Mehrheit dem Plenum des Bundestags vorgeschlagen. Es sieh nach der nüchternen Exekution von Politik aus. Allein, es passt nicht ins Bild, dass die Bundesregierung etwa anders – nämlich opt-in – wollte. Da wundert es auch nicht, dass bereits Mitglieder und Vertreter der Regierungskoalition ausgeschert sind. Das macht die Frage um so brisanter: Was ist da im Vorfeld der Sitzung des Innenausschusses gelaufen?
Die FAZ hat dazu Folgendes herausgearbeitet (in „Meldegesetz: Der Einwilligung widersprochen„, Majid Sattar, 09.07.2012):
Irgendwann suchte Uhl, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, dem Vernehmen nach das Gespräch mit seiner FDP-Kollegin Gisela Piltz: Ob diese nicht auch verhindern wolle, dass durch das neue Bundesgesetz die bisherige Rechtslage auf Grundlage von Landesgesetzen verschärft wird. Frau Piltz, die 2008 erlebt hatte, welchen Sturm die Änderung des Datenschutzgesetzes von Seiten der Werbe- und Marktforschungswirtschaft bewirkt hatte, stimmte zu.
Kein Entkommen der Datenkrake – Wo bleibt der Vertrauensschutz für die Bürger?
Das Ergebnis ist bekannt, die FAZ berichtet von weiteren Gesprächen. Aber die neue Regelung geht ja sogar über ein opt-out hinaus, da diese nicht für Bestandsdaten Dritter gilt, da ein opt-out für die elektronische Übermittlung via Internet nicht mehr existiert. Selbst bei Umzügen entkommt man der Datenkrake nicht mehr. Die Kommunen würden durch die neue Reglung zum (bezahlten) Handlanger der Adresshändler, denen real kein Entkommen mehr ist, da der Bürger realiter nicht mehr Herr seiner Daten ist, wenn er nur irgendwo einmal die Erlaubnis zu Verwendung seiner Anschrift zu Werbezwecken gegeben hätte. Und Interesse wie Aufwand der Durchsetzung der Herrschaft über die eigenen Daten für den einzelnen unverhältnismäßig groß ist, hilft auch eine Bußgeldbewehrung nicht. Ein opt-out, das nicht einmal für die Korrekur bereits erfasster Daten gilt, bietet überhaupt keinen Schutz. Das gilt um so mehr, als dass die Daten aller derzeit erfassten Bürger mit einem Schlag frei werden für Adresshändler. Wo bleibt der Vertrauensschutz?
Der Gesetzentwurf ist im Innenausschuss gehackt worden!
Mit einer Untersuchung, was da geschah, versucht sich auch Spiegel online (in: „Streit über Meldegesetz – Plötzlich sind alle Datenschutz„, von Veid Medick, 09.07.2012). Darin findet sich der Verweis einiger Koalitionspolitiker, die auch überrumpelt worden seien, dass das jetzt immer noch eine bessere Lösung sei, als die deutlich älteren Regelungen der Bundesländer, die durch das Meldegesetz abgelöst werden sollen:
Auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU) warnt die Bundesländer davor, das neue Meldegesetz zu kippen. „Wenn die Bundesländer dieses Gesetz im Bundesrat scheitern lassen, haben wir keinen besseren Datenschutz, sondern gegenüber der bisherigen Rechtslage einen schlechteren“, sagt er. Ähnlich sieht es CSU-Kollege Uhl. Er bezeichnet die Debatte als „Sturm im Wasserglas“ und fügt mit Blick auf die laxe Handhabung in den Ländern hinzu: „Durch das Bundesmeldegesetz entsteht für alle 16 Bundesländer mehr Datenschutz.“
Mitleid oder Verständnis habe ich für den sonst recht sympathischen Bosbach, jedoch nicht, denn im Focus heißt es :
Das heißt, die Bundesregierung wäre laut Bosbach eigentlich zu strengeren Datenschutz-Regeln bereit gewesen – diese wurden im Laufe des politischen Geschachers aber aufgeweicht. „Es ist nun eine Bringschuld der Koalition, überzeugend zu erklären, warum sie die Widerspruchslösung für besser geeignet hält als die Zustimmungslösung“, sagt Bosbach.
Der Zug für Bosbachs Wunsch ist abgefahren. Spitzen der Koalition haben sich gegen die Widerspruchslösung (=opt-out) ausgesprochen. Er zeigt aber, dass es kein Unfall war, was da im Innenausschuss passiert ist. Da hat jemand den Entwurf der Bundesregierung, der Koalitionsregierung, gehackt.
Ich habe eine Email an das Sekretariat des Innenausschusses gesandt mit der Bitte, mir diverse Unterlagen, deren Drucksachennummer ich ausfindig machen konnte, zur Verfügung zu stellen. Die Sitzung war nicht öffentlich, so dass ich mir keinen Erfolg davon verspreche. Mit investigativer Recherche bei den Mitgliedern des Innenauschusses will ich es nicht versuchen.
Erläuterungen zum derzeitigen Meldewesen und Melderecht in NRW finden sich auf den Internetseiten des Datenschutzbeauftragten des Landes NRW.