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Britische Tragödie: David Cameron, Kämpfer für die Europäische Integration, Bewahrer des Euro

Union Jack with 'Thank You For Saving The Euro Zone'
Thank You For Saving The Euro Zone, Bild: jack von codswollop / photocase.de

Fazit: David Camerons Veto hat eine weitere, tiefere, intergouvernementale Integration der Europäischen Union ohne Großbritannien erst ermöglicht und eine – nach derzeitigem Stand zumindest kurzfristige – Beruhigung der Finanzmärkte bzgl. des Euros greifbar gemacht.

Union Jack with 'Thank You For Saving The Euro Zone'

Thank You For Saving The Euro Zone, Bild: jack von codswollop / photocase.de

David William Donald Cameron, Premierminister des Vereinigten Königreichs, Erster Lord des Schatzamtes und Minister für die Öffentliche Verwaltung könnte sich einen neuen ritterlichen Titel verdient haben: Kämpfer für die Europäische Integration oder Bewahrer des Euro. Es mag vordergründig verwundern, dass ich ihm eine solchen Titel zuerkenne, gebiert sich David Cameron als Führer der britischen konservativen Partei doch als Euroskeptiker. Und das gerade durch sein jüngst eingelegtes Veto zu einem europäischen Wirtschafts- und Währungsregime im Rahmen der Europäischen Union, das der Rettung des Euro und einem ersehnten Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa dienen soll. Dieser Artikel handelt davon, wie sein voraussehbares Handeln das erreichte Ergebnis des EU-Gipfels erst ermöglichte, ja es sogar befördert.

Was wäre, wenn David Cameron zugestimmt hätte?
Hätten alle 27 Staaten der Europäischen Union zugestimmt, genauer: hätten die Regierungschefs im Europäischen Rat zugestimmt, dann stünde uns ein europäischer Gesetzgebungsprozess vor, der zu einer Änderung des Europäischen Verfassungsvertrags, derzeit des Vertrags von Lissabon, geführt hätte. Neben dem Europäischen Rat als Staatenkammer der Europäischen Union (EU) wäre daran die Bürgerkammer, das Europäische Parlament, und im Rahmen der Ratifizierung die nationalen Parlamente zu beteiligen gewesen – in einigen Staaten auch die Bevölkerung per Volksabstimmung. Dies wäre ein langwieriger Prozess mit Unsicherheiten geworden. Unvergessen sind die Reaktionen der Finanzmärkte auf die Ankündigung eines Referendums durch den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Andrea Papandreou. Es zeigte sich der diskutierte (so in der FAZ u. a. Schirrmacher, Habermas und …) Konflikt zwischen ökonomischem und politischem Prinzip. Eine demokratische Partizipation des Volkes stand dem Erfolg der Maßnahme entgegen. Das galt nicht nur für die Zeitschiene, denn Demokratie lebt von Langsamkeit. Sondern das galt auch angesichts der Erwartung, dass die Maßnahme, die einen griechischen Staatsbankrott verhindern sollen, von der Bevölkerung abgelehnt werden würden. Wie hätten die Akteure der Finanzmärkte auf einen langwierigen, ungewissen europäischen Gesetzgebungsprozess reagiert? David Cameron hat uns dies erspart.

David Cameron hat das Europa der 27 um ein Europa der 26 ergänzt
Mit David Camerons Veto im Europäischen Rat gab es keinen europäischen Gesetzgebungsprozess zu einem neuen Verfassungsvertrag der EU, der auch das neue, strengere, Wirtschafts- und Währungsregime umfasst hätte. Was geschah dann, da offensichtlich eine breite Basis der europäischen Regierungschefs eine Notwendigkeit hierfür sahen? Von der Politikgestaltung des staatsähnlichen Gebildes europäischer Verfassungsorgane inkl. Europäischem Parlament und Europäischer Kommission wurde umgeschaltet in einen Modus intergouvernementaler Verhandlungen. Mancher nennt dies fälschlicherweise bilateral, richtig wäre 26-lateral. Die 26 Staaten wurden sich ihres eigenen Staatscharakters unabhängig vom Konstrukt einer parlamentarisierten EU bewusst und entschieden sich, das strengere Wirtschafts- und Währungsregime im Rahmen von Verträgen untereinander zu regeln. Es gibt ganze Politikbereiche der EU, die nur so verhandelt werden. Und erstaunlicherweise wollen bei der intergouvernementalen Verhandlung zum neuen Wirtschafts- und Währungsregime alle 17 Staaten der Eurozone sowie 9 weitere (Summe 26) teilnehmen. Die Währungen einiger der 9 sind bereits an den Euro gekoppelt. Nur Großbritannien wird nicht mitwirken. David Cameron hat ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bei einer weiteren, tieferen Integration nach Innen bewirkt.

"Euro" von webbostat / photocase.de

Euroland, Bild: "Euro" von webbostat / photocase.de

David Cameron wird sich dem europäischen Wirtschafts- und Währungsregime nicht entziehen können
Die britische Wirtschaft ist eng mit „dem Kontinent“ verknüpft, aber auch im Rahmen des existierenden europäischen Vertrags von Lissabon, trifft die Europäische Union Regulierungen für das Finanz- und Bankwesen. Großbritannien wird sich den Auswirkungen nicht entziehen können. Diese Regulierung erfolgt in der Regel mehrheitlich, nur einige Ausnahmen sind der Einstimmigkeit der Mitgliedsstaaten unterworfen. David Cameron muss also damit rechnen weitgehend europäischen Regulierungen unterworfen zu sein, die die 26 treffen. Die 26 zusammen haben dann aber darüber hinaus Handlungsoptionen ohne Beteiligung Großbritanniens.

Dass einzelne Staaten nicht an allen Politikbereichen der Europäischen Union teilnehmen, ist nichts Neues. Der sozialen Union der EU ist Großbritannien erst unter Tony Blair beigetreten. Das Schengen-Abkommen über die Freizügigkeit entstand intergrouvernemental und wurde später in den Europäischen Vertrag integriert, wobei Großbritannien und Irland (bis auf weiteres) außen vor bleiben durften. Dieses opt-out-Privileg wurde neuen Beitrittsstaaten nicht gewährt, sie hatten das gesamte Paket des acquis communautaire zu übernehmen.
Auch beim Euro gibt es Länder mit einem opt-out: Großbritannien muss nicht mitmachen, aber auch Schweden wird aufgrund einer Volksabstimmung derzeit stillschweigend zugestanden, dass es trotz erfüllbarer Konvergenzkritiereien nicht die notwendigen formalen Schritte einleitet.

Allerdings sieht es so aus, dass sich Cameron mit Blick auf den starken euroskeptische Teil seiner konservativen Partei, den Tories, verzockt hat. Er soll als Bedingung für das strenger Wirtschafts- und Währungsregime gefordert haben, dass zukünftig alle Entscheidungen zum Finanz- und Währungsregime hätten einstimmig fallen sollen. Das wäre ein Rückschritt hinter den bisherigen Stand der Integration, den acquis communautaire gewesen. Die Folge wäre eine britisches Vetorecht in allen Fragen des strengeren Regimes gewesen. Das Veto für jeden Mitgliedsstaaten steht jedoch auch dem zentralen Element der automatischen Strafen bei Verstößen entgegen. Er hätte das Ziel des Gipfel pervertiert und nur David Cameron einen Erfolg für die heimische Tory-Partei eingebracht. David Cameron hat nichts erreicht und kehrte mit leeren Händen nach London zurück.

David Cameron darf wie die Schweizer der Brüsseler Politik zuschauen
Bemerkenswert ist das am Ende des EU-Gipfels 26, also die 17 Staaten der Eurozone plus die weiteren 9 ohne Großbritannien für das neue Regime votierten. Das Vereinigte Königreich stand alleine da. David Cameron hat Großbritannien hinsichtlich der Regulierung des Binnenmarkts im Sektor des Banken- und Finanzwesens in die Rolle der Schweiz und Norwegens gebracht – und Islands und Liechtensteins. Diese sind „nur“ Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraum, einer Freihandeltszone der Staaten der Europäischen Freihandeltszone EFTA und der EU. Allerdings sieht die Realität so aus, dass die Staaten der EFTA die europäischen Regulierungen 1:1 übernehmen müssen, wenn die EU-Außengrenze an ihren Grenzen nicht zu einer werden soll. Die wirtschaftliche „Vernunft“ zwingt die Politik dazu, aber führt zu dem Dilemma, dass ohne EU-Beitritt die Regelungen durch die nationalen Parlamente „freiwillig“ übernommen werden müssen, ohne an der Aushandlung in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg beteiligt zu sein. Und so ist zu um so mehr zu erwarten, dass Camerons Ziels, Großbritannien aus diesem Regime herauszhalten, durch sein Veto nicht nur verfehlt wurde, sonderen die Situation für Großbritannien noch verschlimmerte. David Cameron hat den Kampf gegen die Windmühlen verloren und wird als Ritter von der traurigen Gestalt der Entwicklung zu sehen, aber sie weniger beeinflussen können.

Ohne David Camerons Veto wäre es nicht gegangen
Angesichts der eingangs gemachten Ausführungen und eines vorhersehbaren Vetos des britischen Premierministers muss sogar festgestellt werden, dass er das Ergebnis erst ermöglicht hat. Eine zügige Vertragsentwicklung und -implementierung zur Beruhigung der Finanzmärkte wäre ohne Veto nicht denkbar. Es trägt dem kritisierten Demokratidefizit der EU bei und liefert gleich den Sündenbock. Es stellt im Duktus der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die gewählte Option eines Europäischen Wirtschafts- und Währungsregimes der 26 als „alternativlos“ dar. Und so mutiert der Ritter von der traurigen Gestalt zur tragischen Figur. Die Zukunft wird zeigen, ob die Eurorettung gelingt und er ggf. sogar zu einer weiteren Integration Großbritannien beigetragen hat.

Spannend werden noch die Verhandlungen mit David Cameron über die Nutzung der Institutionen des Europas der 27 durch das Europa der 26. Dem wird sich David Cameron nicht verweigern können, will er die vorgetragene Kritik einer Überbürokratisierung nicht selber befördern. Es ist auch nichts neues, denn historisch ist die Europäische Union aus den drei Europäischen Gemeinschaften hervorgegangen, deren Institutionen zusammengelegt worden waren. Wie gut, dass es über die Arbeit des Institutionen der Europäischen Union einen eigenständigen Vertragstext gibt. Das erleichtert die Arbeit für alle 26 bzw. 27. Auch dafür: Danke, David Cameron, Kämpfer für die Europäische Integration, Bewahrer des Euro.


Linkliste

Der griechische Weg – Demokratie ist Ramsch“ von Frank Schirrmacher, FAZ, 01.11.2011

Euro-Krise – Rettet die Würde der Demokratie“ vom Jürgen Habermas, FAZ, 04.11.2011

Enttäuschte Investoren – Camerons EU-Veto kann für die Briten teuer werden„, Die Welt online, 13.12.2011

Veto bei EU-Gipfel – Cameron verrät 200 Jahre Geschichte“ von Jonathan Powell, Financial Times Deutschland, 13.12.2011


Bilder: jack von codswollop und webbostat von photocase.de

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