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Umwelt

Veränderungen der politischen Streitkultur

Da ich mich aufgrund der Vorbereitungen einer Kundgebung gerade stärker damit befasse, hier sechs Veränderungen, die ich bei der politischen Streitkultur in Deutschland erkenne

Protest wird breiter, akzeptierter und mehr
Protest wird mehrstimmiger
Protest wird radikaler
Protest wird rabiater
Protest löst Gegen-Protest aus

Es beteiligen sich mehr Menschen als früher an Protesten. Zumindest kommt es mir so vor. Könnte das mal jemand untersuchen? Dieses Mehr findet sich nicht nur in der Menge der Beteiligten an Protesten, sondern auch in der Zahl der Proteste und der Art der Anlässe. Insgesamt sind durch die Menge an Protesten – wie immer dieser Begriff als Aktion umrissen sein mag – deutlich mehr Anlässe protestfähig geworden, d.h. sie gelten als zulässige Objekte des Projektes. Ein Freund von mir, der selber mal bei den Grünen war, nennt das den Fluch der Grünen. Ohne Fragen nach Hintergründen und eigener Verantwortung wird gegen alles protestiert, was einem nicht passt.

Mein Lieblingsbeispiel sind Bürger einer Straße, die sich zusammen tun und protestieren, dass die Kanalisation zu klein sei. Diese müsse erweitert werden, da ihre Keller bei einigen starken Regenfällen überflutet werden, wofür sie auch noch Schadensersatz fordern. Kein Verständnis besteht bei diesen Protestieren dafür, dass die Kanalisation nicht alle Regenereignisse aufnehmen kann, dass sie dafür nicht ausgelegt ist und dass deshalb Regenrückhalteklappen in Häusern eingebaut werden. Diese Regenrückhalteklappe sind dann von den Protestierenden 40 Jahre lang nicht gewartet worden, halten das Regenwasser nicht zurück, aber Schuld sind sie ihres Erachtens nicht und wollen auch die Klappen nicht instandsetzen.

Es fällt mir auch auf, dass viele bei Unterschriftensammlungen aus Protest eher bereits sind mitzumachen, da es akzeptierter wird, anderen mit einer Unterschrift auszuhelfen.

Mehrstimmiger

Bei Protest mit vielen Beteiligten wird die „Bewegung“ vielstimmiger. Man könnte auch sagen, dass das Meinungsbild im Protest pluraler wird. Ich erlebe, dass bereits bei kleinen Gruppen der eine über den anderen über Details und Teilfragen andere Ansichten äußert, aber auch über die Mit-Protestanten. Die Einheitlichkeit ist schnell dahin und kann auch versucht werden, sie bewusst zu zerschlagen. Schwierig  – je nach Sicht – ist es dann auch, dass die Protestanten zu gemeinsamen Positionen bei Kompromissen finden. Jüngstes Beispiel ist, dass eine Gruppe am von Heiner Geißler moderierten Runden Tisch zu Stuttgart21 bereits ausgeschieden ist. Ursache ist ein Kompromiss für die Zeit der Verhandlungen, bei der einige Arbeiten zurückgestellt, andere aber fortgesetzt werden. (siehe hierzu u.a. Bericht auf Welt online, 15.10.2010)

Es scheint mir einfacher, diese Kakophonie des Protests auf simple Fragen der Ablehnung zu einigen, aber die Kompromissfähigkeit ist insgesamt nicht gegeben. Auch gibt es bei großen Protestbewegungen mehrere unabhängige institutionelle Protestanten. Es wird bunt – aufgrund der Komplexität der Probleme und Kompromisse dadurch schwieriger.

Radikaler, Rabiater

Und die Mehrstimmigkeit führt auch zu radikaleren Forderungen und radikalerem Vorgehen. Anstatt dass sich Protestanten (ja, Protestierende hätte ich auch sagen können) zunächst in ihrer Institution einigen, kann sich jeder die ihm passende Gruppe – also Partei – aussuchen. Also ist auch immer Platz für eine Gruppe der Radikalen und gemäßigteren Protestanten.

Aber auch ohne Schlussfolgerung aus dem Umstand der Mehrstimmigkeit, meine ich wahrzunehmen, dass die Positionen der Ablehnung radikaler werden. Zudem wird es dadurch auch schwieriger, die eigene Postion als nicht-absolut anzusehen, da sie ja als vermittelbar und teilbar mit anderen angesehen wird. Dies führt bis zur Steigerung, dass man selber unfehlbar und alleine das Gute vertrete, die anderen das Böse. Und dann wundert es nicht, dass auch die Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam, zu Ordnungswidrigkeiten, zu Straftaten, ja Gewalt, steigt. Besonders schlimm ist aber, wenn andere dafür instrumentalisiert werden. Nicht allen, aber vielen der Protestanten scheint mir die Grenze, die der Anstand zieht, abhanden gekommen zu sein, die vorgibt, wie weit man bereit ist zu gehen.

Via Simon Zeimkes Beitrag „Die Hüter der Moral und die Meinungsfreiheit“ fand ich dazu einen Bericht vom Bayerischen Rundfunk mit dem Titel „Intoleranz – Wie Stuttgart 21 Gegner S21-Befürworter schikanieren“:

Ich rufe auch Jan Fleischhauers Film zum Buch „Unter Linken“ in Erinnerung, wo ein Autonomer nach einer Attacke auf einen CDU-Vertreter am Ende Schutz bei der Polizei sucht, weil er sich vom Journalisten Fleischhauer verfolgt fühlt, der ihm dazu eine Frage stellen will. Aber in dem Film gibt es noch anderes, wie den linken Vertretern, der der CDU nicht einmal den für sich reklamierten Minderheitenschutz gewähren wollen. Aua!

Der Journalist Dirk Hautkapp (NRZ, DerWesten) verweist in seinem Kommentar „Protest wird rabiater“ darauf, dass ein heißer Herbst bevor stehe, denn einige protestfähige, medial wirksame Anlässe stehen diesen Herbst ins Haus. Auch Andreas Laux geht beim Focus in diese Richtung. Wir werden sehen.

Gegen-Protest

Und diese fehlende Fähigkeit zur Einsicht löst dann noch Protest von denen aus, deren Kernkompetenz protestieren eigentlich nicht ist, die aber doch ihre eben nicht abweichende Meinung ausdrücken wollen. Anders ausgedrückt: Es wird protestiert, dass es keinen Anlass zum Protest gibt. Dies beschleunigt nochmals die Ausweitung dieser Protestkultur und ruft bei den eigentlichen Protestanten Reaktionen hervor. Nur was hier tun, wenn einem Form und Inhalt des Protestes nicht passen? Mit den Wolfen heulen oder die Klappe halten?

Vom Klappe halten und erdulden habe ich inzwischen die Nase voll. Da unterscheide ich mich nicht. Ich will nicht, dass gilt „Wer am Lautesten schreit, kriegt recht„. Die Zahl und Lautstärke der Schreihälse gibt nicht die Zahl der Bürger wieder, geschweige denn repräsentiert sie. Man muss solche Artikulationen ernst nehmen, aber irgendwann ist auch genug.

Was tun?

Es gibt keinen Weg zurück. Wer eine Meinung hat, muss lernen sie auch zu vertreten. Journalisten-Schelte gilt nicht, wenn sie nur über Schreihälse berichten, die ihnen ja Material und damit Lohn und Brot liefern. Bürgerlichen Konservativen fällt es bekanntlich einfacher Ungleichheit zu ertragen, aber irgendwann reicht es auch denen. Wenn inderen Milieus auch nicht so laut geschrieen wird, wird man auch dort mehr diskutieren müssen, um mehr Meinungen öffentlich zu formulieren. Sei es auch nur, dass eigentlich der Protest der Protestanten unangebracht ist. Damit wird mancher aus dem Privaten stärker in die Gesellschaft und Öffentlichkeit gezogen. Die Protestanten werden mit Protest-Protestanten leben lernen müssen. Das ist eine neue Qualität. Der „Grüne Fluch“ trifft am Ende alle, auch sie selber.

Und so reih ich mich ein, als einer, der außerhalb von BaWü für S21 protestiert (Begriff?). Bisher machen außerhalb BaWü das meines Erachtens nur die Protestanten.

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