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Jagd

Vergessene Zusammenhänge: Jagd ist Tierschutz und ehrenamtlicher Dienst an der Gesellschaft

Dieser Beitrag von mir wurde für die Ruhrbarone verfasst, wo er zuerst am 22. März 2014 erschien.

Es ist Samstagmorgen Mitte Mai. Ich sitze in meinem Jagdrevier im Hochsauerlandkreis. Es ist etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang. Rehböcke und sogenannte Schmalrehe, weibliche Reh ohne Kitze, dürfen bejagt werden. Das Wetter ist heiter bis wolkig und ich genieße die Geräuschkulisse – Wind und Vögel im Wald. Noch etwa eine Stunde, dann werde ich abbrechen und frühstücken. Auf einmal steht er da. Ein junger Bock muss in der letzten Minute über die Kuppe gekommen sein. Breit steht er da und ich kann ihn seitlich gut ausmachen. Der Bock ist noch im Bast, d. h., sein diesjähriges Geweih ist noch von Fell umhüllt. Er wird es abschaben an Bäumen und Sträuchern. Bei diesem Verfegen des Geweihs wird dieses Knochenmaterial, das im Herbst abgeworfen werden wird, von der Rinde und Pflanzensäften seine Farbe annehmen. Sollte der Bast nicht auch längst verfegt sein?

Ich habe Zeit für die Entscheidung, ob ich den Bock schießen will. Er steht eh an der Kuppe und über diese will ich nicht hinwegschießen. Das ist zu gefährlich, denn die Kugel könnte sonst wo landen. Aber ich bin auf einem Hochsitz, also sollte der Bock auch mal passend stehen, wenn er weiter äst. Vom Hochsitz geht die Kugel sicher in die Erde, falls mein Schuss nicht trifft.

Jagd ist Beute machen – Der Jäger ersetzt den Räuber

Es handelt sich vermutlich um einen jungen Bock, einen Jährlingsbock. Er wirkt nicht allzu kräftig. Nicht nur, dass er noch im Bast ist, auch ist das Geweih sehr klein. Es ist nicht verästelt. Ich habe es mit einem Spießer zu tun. Seine Spieße sind aber gerade mal zwei Drittel so lang wie seine Lauscher, wie der Jäger die Ohren nennt. Alles spricht dafür, dass es sich um ein schwaches Stück handelt. Bei den Trophäenjägern bringt das Geweih nichts. Das ist kein alter, starker Bock mit einem kräftigen Geweih. Aufgrund der drei Zacken an jeder Stange wird dann von einem Sechser gesprochen. Allerdings sollen ja auch bevorzugt schwache Stücke geschossen werden. Damit stimmt dann die genetische Auswahl. Räuber, die Rehe erlegen gibt es hier nicht. Luchs und Wolf sind zwar wieder nach Deutschland eingewandert, aber nicht hier und nicht in ausreichender Menge. Ein Reh dürfte auch meist als Beutetier zu groß sein für diese Jäger. Also werde ich an ihrer Stelle Beute machen. Jetzt passt es. Nix und niemand wir gefährdet. Ich lasse die Kugel fliegen. Der Bock deutet einen Schritt an und fällt um. Ich bin der Räuber, der sich vom Rehbock nähren wird. Jagd ist auch Beute machen. Die schwächsten Stücke fallen zuerst, wie im „richtigen Leben“. Die Waldbauern, gerade den mit den Tannenbaumfeldern, wird es freuen. Letzterer hat sich bei mir über den Verbiss an seinen Bäumen beschwert. Er will alles einzäunen, wenn das so weiter gehe.

Wildtiere benötigen Platz und gehören nicht zusammengefercht

Mein erstes Reh habe ich an einem Wintermorgen im Emscherbruch in Gelsenkirchen geschossen, nicht weit von der Köttelbecke, wie sie der Ruhri nennt. Es war ein einzelnes Kitz, dass in Begleitung seiner Ricke kam. Im Hochsauerlandkreis habe die Ricken regelmäßig zwei Kitze. Im Ruhrgebiet scheint mir das eine Seltenheit zu sein. Auch die Gewichte sind meinem Eindruck nach geringer. Ein Kitz hat schon mal zwei Kilo als in Gelsenkirchen. Die Kitze, die ich im Sauerland schieße, haben meist deutlich über 10 kg. Im Ruhrgebiet und seinen Rändern sind es auch nur mal 7 kg. Der Wald hier ist auch Erholungswald. Geocacher tauchen auf oder Kinder mit Schlitten. Die Jagd ist damit dann in aller Regel beendet. Aber diese Störungen sind auch Gründe, weshalb die scheuen Rehe an der Ruhr magerer und anfälliger sind. Sie werden zu oft gestört. Rehe stören sich auch gegenseitig. Sogar fallende Eicheln und Kastanien schrecken sie. Nimmt die Zahl der Tiere auf einer Fläche zu, dann haben sie ein geringeres Gewicht. Es sind halt keine Herdentiere, auch wenn sie ähnliches Verhalten im Winter auf wirtschaftshistorische bedingten großen Anbauflächen in den östlichen Bundesländern schon mal zeigen. Im Winter bilden Rehe kleine Gruppen, sogenannte Sprünge, aber nicht den Rest des Jahres.

In Bochum gibt es ein Gehege für Wildschweine und im Wattenscheider Südpark eines für Damwild. Ich schüttel den Kopf, wenn sich einige Bürger aufregen, dass aus den Gehegen heraus einige Tiere geschossen werden. Der Tierschutz erfordert es. Die Tiere brauchen Platz, mehr als eine Legehenne. Der Vorschlag, bei Überfüllung eines Geheges Tiere an andere Gehege abzugeben, zeigt mir wie kurzsichtig das gedacht ist. Die Reproduktionsrate der Tiere liegt halt so hoch. Bei einem weiblichen Wildschein, einer Bache, ist regelmäßig mit 8 Frischlingen, die sie bekommt, zu rechnen. Für mehr hat sie keine Zitzen, also verhungert das Neunte. Es ist das schwächste Schweinchen, das seine 8 Geschwister alle von den Zitzen weggebissen haben. Da gibt es kein Mitleid.

Biofleisch aus dem Wald und aus äußerst artgerechter Haltung

Angekommen beim erlegten Bock sehe ich, dass ich einen Kammerschuss hingelegt habe. Das Herz ist, wie ich später feststelle, nicht mehr zu gebrauchen. Der Kreislauf des Tieres ist äußerst schnell zusammengebrochen. Leiden zu vermeiden, ist das Ziel. Waidgerechtigkeit werden diese Tierschutzziele genannt. Ich versorgen den Rehbock vor Ort. Ich schaue mir die Innereien an, um Veränderungen an den Organen zu erkennen. Ein schwaches, aber sicherlich schönes Tier. Das ist gerade dieser Kampf im Jäger. Ich kümmere mich um das Wild, in dem ich Tiere töte. Das ist wie im Gehege. Tiere müssen entnommen werden, damit die Population gesund erhalten bleibt. Nicht jeder versteht das in unserer verstädterten Welt. Das Töten einer Giraffe in Skandinavien, um Inzest zu vermeiden, hat viel Protest ausgelöst. Die Löwen des Zoos bekamen dadurch äußerst artgerechtes Futter. Zum Erhalt der Population gehört, dass Tiere sterben. Andere leben davon. Ich werde den Tag mit Metzgerarbeiten verbringen. Der Wildhändler zahlt mir vielleicht ein Euro für das Kilogramm Fleisch, ein Gastwirt deutlich mehr. Da zerwirke ich das Fleisch lieber selber. Das ist arbeitsintensiv, macht aber auch Freude – bei der Arbeit, beim späteren Essen und Kochen. Dann hab ich sogar Biofleisch aus äußerst artgerechter Haltung. Mager und fettarm.

Ressourcenverschwendung: Abertausende Felle landen jedes Jahr auf dem Müll

Während ich das Tier zum Wegesrand schleppe, achte ich darauf, dass es nicht über den Boden schleift. Beim Schuss wird aus dem Lebewesen ein Lebensmittel. Mein Pullover ist voller Haare. Der Balg eines Rehs ist leider nicht zu verwerten. Die Haare sind da nur locker dran. Aus einer Wildschweinschwarte könnte Wildleder werden, aus einem Fuchsfell eine Mütze. Aber auch diese Felle würde ich vergraben. Geld lässt sich damit nicht verdienen. Eine Verschwendung finde ich. Mit nachhaltiger Nutzung hat das nichts zu tun. Bejagt werden müssen Schwarzwild – wie der Jäger Wildschweine aufgrund ihrer Farbe nennt – und Füchse. Abertausende von Fellen landen so jedes Jahr auf dem Müll. Mit Tier- und Umweltschutz hat das nichts zu tun. Tiere in engen Käfigen zu züchten, nur um an ihre Fell zu kommen, ist grausame Tierquälerei. Abertausende Felle, die zwangsläufig anfallen, auf den Müll zu werfen ist Ressourcenverschwendung. In Herne habe ich eine Gerberei gefunden. Die machen aus dem Rohbalg ein Fell, aus dem mir ein Kürschner eine Mütze machen kann. Vergessene Berufe. Aus dem nächsten Fuchs will ich mir eine Mütze fertigen lassen.

Der Rehbock liegt auf dem Wildträger an meinem Wagen. Die Innereien mit Magen und Darm sind vergraben. Viele verwerte ich. Meine Frau mag Leber, ich mache aber auch schon mal Leberwurst unter Zusatz von Schweineschmalz. Die Hoden oder Klötze sind mehr was für Hunde. Nieren gehen mir höchstens in Genschnetzeltes. Rehfilets sind auch ganz nett, aber die sind so klein, dass ich mehrere für zwei Salate sammeln muss. Was ich nicht als Lebensmittel verwerten kann, kann auch der Jagd dienen, zum Anlocken von Füchsen. Beim nächtlichen Ansitz auf Schwarzwild habe ich letztes Jahr mehrere in einem Tal ausgemacht. Schwarzwild habe ich leider nicht erlegen können. Das ist in doppelter Hinsicht bedauerlich, denn mit meinem Partner schulde ich dem Landwirt Ersatz für mehrere Hundert Quadratmeter Mais, den die Sauen vernichtet haben. Platt gewalzt und gefressen. Der Boden musste im Frühjahr erst wieder maschinell eingeebnet werden, um weiter bearbeitet zu werden. Die Kosten kommen auch auf uns zu.

Die Energiewende macht mehr Jagd erforderlich

Inzwischen wird Mais sogar auf den steinigen Bögen hier oben im Sauerland angebaut. Er muss nicht mal reif werden, um der Produktion von Biomasse und Strom zu dienen. Energiewende, Energie aus Biomasse und E10 tragen zur Vermaisung der Landschaft bei. Das Schwarzwild vermehrt sich stark bei diesem Angebot aus ökologisch armen Monokulturen. Die Landbesitzer auch, denn aufgrund der Nachfrage kann mehr Profit erzielt werden. Der Jäger hat mehr Schwarzwild zu jagen, aber das ist in meinem Umfeld dem Pachtpreis für Jagdreviere eher abträglich. Das Risiko des Schadens wird größer und teurer. Es gibt auch mal Schaden in Höhe eines Kleinwagens. Solche Revier sind nicht verpachtbar, aber es gibt auch Verträge mit Deckelung der Schadenshöhe. Landwirte und Landbesitzer bleiben dann aber auf den Schäden sitzen und müssen sie untereinander verteilen. Die Energiewende macht die Jagd erforderlicher denn je. Wenn es keine ehrenamtlichen Jäger mehr gibt, dann müssen bezahlte Berufsjäger engagiert werden. Ein schlecht bezahlter Beruf könnte wieder interessant werden. Viele Jagdpächter sind auch zu alt. In Hessen sollen bereits mehrere Reviere keine Jagdpächter mehr finden. Da soll der Verbiss der Bäume und Schäden an den Rinden durch Rotwild erheblich sein. Jagd ist auch ehrenamtlicher Dienst für die Gesellschaft.

Der Weg durchs Sauerland nach Hause führt mich an vielen Tannenbaumplantage vor. Es wird Zeit, dass mal jemand Pestizid-freie oder zumindest -arme Tannenbäume spricht. In der Schule habe ich gelernt, dass Wald ein mehrebeniges Ökosystem sei. Für zweidimensionale Tannenbaumwüsten gilt das nicht. Hier gibt es nicht mal Deckungs für das Rehwild. Ich spiele mit der Idee, in die Zäune der Planatage große Gartensteine zu setzen, durch deren Löcher dann der Fuchs schlüpfen kann. Die Zäune sollen verhindern, dass Rehe die Tannenbäumchen verbeißen. Die Betonsteine würden den Lebensraum wenigstens den Füchsen erhalten. Die Besitzer der Flächen zu überzeugen, Saugatter anzulegen, dürfte schwieriger sein. Dann könnte neben Schweinen auch weitere Tiere auf die Plantagen gelangen. Den Lebensraum für die Tiere zu erhalten ist auch Hege und Pflege. Der Erhalt gesunder Populationen erfordert beides: Die Hege mit der Büchse, aber auch Arbeiten zur Erhaltung des Lebensraums. Das ist Tierschutz, gebettet in ein politisches Umfeld aus Regulierungen und Abstimmungen mit Landwirten, Besitzern, Behörden und anderen Jägern. Die Verantwortung dafür erfüllt mich. Es ist nicht das Schießen, was die Jagd ausmacht.

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