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Nordrhein-Westfalen

Regieren „aus dem Parlament“, oder: Verfassungslektüre

Hand auf’s Herz, wer hat schon mal in der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen gelesen? Es gibt ja auch deutlich weniger Grund da hineinzuschauen als ins Grundgesetz.
In diesem ausführlichen Beitrag gehe ich die einschlägigen Bestimmungen der Landesverfassung durch, um einmal aufzuzeigen, welche Instrumente der Verfassung nun zum Tragen kommen oder plötzlich Handlungsoptionen darstellen.

Wenn der Ministerpräsident nicht wechselt, wie kommen neuen Minister ins Amt? Wer fertigt Gesetze und unterschreibt sie? Hat die Landesregierung ein Vetorecht und kann der Landtag dies überstimmen? Wann wird bei Selbstauflösung des Landtag gewählt? Darf die Landesregierung noch Geld ausgeben, wenn das Parlament keinen neuen Haushalt beschließt? All dies versucht dieser Beitrag mit einer kommentierten Darstellung der einschlägigen Artikel der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen zu beantworten.

Hand auf’s Herz, wer hat schon mal in der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen gelesen? Es gibt ja auch deutlich weniger Grund da hineinzuschauen als ins Grundgesetz, wo zum Beispiel die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern geregelt ist. Auch gehört die Landesverfassung NRW zu denen, die nach dem Grundgesetz verabschiedet worden sind und auch auf  das Grundgesetz verweisen. Es fehlen daher auch Relikte bzw. Kuriositäten älterer Verfassungen, wie zum Beispiel der hessischen Landesverfassung. Dort wird die hessische Staatsangehörigkeit angeführt, die Todesstrafe auf schwere Straftaten beschränkt, Aussperrung verboten und Verstaatlichung von Unternehmen vorgesehen. Aber all das hat keine Bedeutung, denn Bundesrecht bricht Landesrecht. Da hilft auch eine Landesverfassung nicht. Eine Verordnung eines Bundesministers bricht ggf. eine Landesverfassung. Und wenn die hessische Landesverfassung eine Beteiligung ehemaliger Bundesfürsten oder eines Mitglieds eines ehemalige Regierenden Hauses ausschließt, so verstößt dies gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, den Gleichheitsgrundsatz.
Vor der Landtagswahl am 09. Mai 2010 bestand der letzte Grund meiner Erinnerung nach darin, mich mal zu vergewissern, ob in Artikel 7 der Landesverfassung NRW noch als Ziel der Erziehung zur „Ehrfurcht vor Gott“ drinnen steht und zu überlegen, in welchem Zusammenhang die Begriffe Hauptschule und Volksschule stehen.

Jetzt sieht die Situation aber anders auch, denn die Landesverfassung enthält per definition einen Teil Staatsorganisation. Und da finden sich die Grundlagen zur Rollenverteilung, zu Rechten und zu Pflichten der Organe der Gesetzgebung. Bei einer Regierung, die nicht mehr aus der Mitte des Parlaments getragen wird, und dem von Hannelore Kraft (SPD) angestrebten Versuch „aus dem Parlament“ heraus zu regieren, wird der Charakter der Regierung als Verwaltungsspitze, wenn man so will als politische Beamte, wieder stärker in den Vordergrund treten. Alle Regelungen bzgl. eines Prinzips „Das Parlament kontrolliert die Verwaltung.“ werden von Bedeutung. Und daraufhin habe ich mir mal die Landesverfassung angesehen…


Von den Organen und Aufgaben des Landes
Erster Abschnitt – Der Landtag

Art. 32 Abs. 2: Ihm [dem Landtag] obliegt auch die Feststellung, ob ein Abgeordneter des Landtags die Mitgliedschaft verloren hat.

Der Mandatsverlust bedarf der Bestätigung durch den Landtag. Dies kann schon mal interessant werden im Hick-Hack um Mehrheiten und Geschäftsordnungsquerelen. Dass das nicht ganz bedeutungslos ist, zeigt sich bei der Kandidatur von Christian Wulff als Bundespräsident mit einer ähnlichen Regelung in Niedersachsen. Wäre Wulff nicht rechtzeitig zurückgetreten, könnte der niedersächsische Landtag nicht rechtzeitig den Mandatsverlust feststellen, so dass Wulff im Falle der Wahl das Amt des Bundespräsidenten vorerst nicht antreten könnte. Mehr dazu in einem Bericht der Badischen Zeitung vom 13. Juni.

Art 35 Abs. 2: Der Landtag kann sich durch eigenen Beschluß auflösen. Hierzu bedarf es der Zustimmung der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl.

Die Regelung zur Parlamentsauflösung ist eindeutig: Mehr als 50% aller Mitglieder, nicht der zufällig anwesenden Landtagsabgeordneten müssen zustimmen. Im Bundestag wird diese als Kanzlermehrheit bezeichnet. Es ist auch die Mehrheit, die ein Ministerpräsident zunächst benötigt. Der Bundestag kann sich hingegen nicht selber auflösen.

Art. 35 Abs. 3: Der Landtag kann auch gemäß Artikel 68 Abs. 3 aufgelöst werden.

Art. 68 Abs. 3: Auch die Landesregierung hat das Recht, ein von ihr eingebrachtes, vom Landtag jedoch abgelehntes Gesetz zum Volksentscheid zu stellen. Wird das Gesetz durch den Volksentscheid angenommen, so kann die Landesregierung den Landtag auflösen; wird es durch den Volksentscheid abgelehnt, so muß die Landesregierung zurücktreten.

Ich bezeichne das mal kurz als Neuwahl in Folge eines gewonnenen Volksentscheids.Hier wird es nun interessant, denn bei einer Landesregierung, die von einer Landtagsmehrheit getragen wurde, war dieser Weg zu einem Volksbegehren irrelevant. Jetzt ist vorstellbar, dass eine Minderheitsregierung ein Gesetz zum Beispiel zu einer Schulreform ausarbeiten lässt, ins Parlament einbringt und nach versagter Zustimmung dem Volk vorlegt. Stimmt dieses der Politik der Landesregierung zu, dann hätte diese Landesregierung die Möglichkeit das Parlament aufzulösen. Da sie aber aufgrund der Zustimmung des Volkes zu diesem Gesetz erheblich Rückwind hätte, wäre auch ein neuer Anlauf zu einer Regierungsbildung denkbar. Das ist auch bei Ablehnung des Volksentscheids denkbar.

Art 35 Abs. 4: Nach der Auflösung des Landtags muß die Neuwahl binnen sechzig Tagen stattfinden.

Wetten auf Wahltermine vor Mitte August werden von mir aus Fairness nicht angenommen. Mit kürzeren Zeiten gäbe es auch echt Probleme bei den Verfahren zur Aufstellung der Kandidaten und den Vorbereitungen zur Wahlkampfführung, z.B. der Produktion von Plakaten und Organisation von Veranstaltungen.

Art 38 Abs. 2: Bis zur Wahl des neuen Präsidiums führt das bisherige Präsidium die Geschäfte weiter.

Das erleben wir ja gerade. Regina van Dinther (CDU) ist als Landtagspräsidentin zurückgetreten. Ansonten wäre sie noch im Amt als Präsidentin, obwohl sie kein Landtagsmandat errungen hat. (Sie ist jedoch erste Nachrückerin auf der Liste der CDU.) Jetzt führt die Geschäfte des Präsidiums des Landtags der 1. Vizepräsident Edgar Moron (SPD). Kurios ist daran weiterhin, dass auch er dem neuen Landtag nicht angehört.
Relevant ist hier nur, dass der Landtag die Frage nach dem Vorsitz zeitlich schieben kann. Damit steht die Besetzung des Präsidiums auch als Verhandlungsmasse zwischen den Parteien weiter zur Verfügung – und offener als im Falle einer erfolgten Neubesetzung zu Beginn der Wahlperiode. Hier kann wie auf’m Basar gehandelt werden: Stimm Du meinem Gesetz zu, dann bekommst Du da einen Posten.

Art 38 Abs 3: Der Landtag wird jeweils durch den Präsidenten einberufen.

Abs. 4: Auf Antrag der Landesregierung oder eines Viertels seiner Mitglieder muß der Landtag unverzüglich einberufen werden.

Der Landtag kann ja nur tätig werden, wenn er zusammentritt. Das dürfte zunächst einmal nach einem Sitzungskalender erfolgen, entsprechend dem der Präsident, zurzeit der Vizepräsident, einberuft. Aber auch hier kann taktiert werden. So kann die Landesregierung für ein wichtiges Gesetz den Landtag einberufen, auch wenn gerade mal Sitzungspause ist. Aber „aus dem Parlament“ heraus ist das auch möglich. Da könnte manch ein Terminkalender durcheinander geraten. Das Einberufungsrecht bietet Handlungsoptionen und Konfliktpotential.

Art. 40: Der Landtag bestellt einen ständigen Ausschuß (Hauptausschuß). Dieser Ausschuß hat die Rechte der Volksvertretung gegenüber der Regierung zu wahren, solange der Landtag nicht versammelt ist. […]

Der Hauptausschuss ist jetzt ohne eine Mehrheit der Landesregierung. Oder kann jemand was anderes ausrechnen? Aufgrund der heutigen Verkehrs- und Kommunikationsmittel halte ich die Rolle des Hauptausschusses für weniger relevant, will aber nicht ausschließen, dass ich da etwas übersehen habe. Irgendwie vermute ich hier noch ein paar Handlungsoptionen.

Art. 41: Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. […]

Das ist eine Regelung, die bereits immer von Interesses ist. Untersuchungsausschüsse sind insbesondere ein Instrument der Opposition. Jetzt können Sie aber von Interesse werden, ob die Landesregierung auch wirklich, vollständig und korrekt im Sinne der beschließenden, wie auch immer gearteten Landtagsmehrheit einen Beschluss, z.B. ein Gesetz, ausführt. Der Untersuchungsausschuss bietet noch mehr Möglichkeiten im Spiel von (themen-bezogener? zufälliger?) Parlamentsmehrheit gegen Regierung. Die Landesregierung kann nicht auf eine Mehrheit in einem Untersuchungsauschuss hoffen. Sie muss dann mit den Feststellungen eines Ausschusses leben. Diese sind Gerichten nicht zugänglich, aber sind auch strafrechtlichen Verurteilungen. Gerichtliche Auseinandersetzungen sind auch noch denkbar.

Art. 45 Abs 1,2: […] Den Mitgliedern der Landesregierung ist jederzeit, auch außerhalb der Tagesordnung, das Wort zu erteilen. Der Landtag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Landesregierung verlangen.

Außer in Untersuchungsausschüssen dürfen Regierungsmitglieder jederzeit reden. Das Parlament und seine Ausschüsse dürfen die Minister ab auch jederzeit anfordern. Es ist nicht so, dass sie zurzeit nicht gekommen werden. Fragestunden an die Minister sind guter Brauch. Aber die Oppostion wusste auch stets, wo ihre Grenzen sind. Hier dürfte die Auseinandersetzung nun härter werden. Ein Minister oder Ministerpräsidenten kann sich nun schwerer vertreten lassen und muss auch mit unangenehmeren Fragen rechnen, die nicht so einfach zu umschiffen sind.

Zweiter Abschnitt – Die Landesregierung

Art. 52

Abs. 1: Der Landtag wählt aus seiner Mitte in geheimer Wahl ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder.

Abs. 2 Kommt eine Wahl gemäß Absatz 1 nicht zustande, so findet innerhalb von 14 Tagen ein zweiter, gegebenenfalls ein dritter Wahlgang statt, in dem der gewählt ist, der mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, so findet eine Stichwahl zwischen den beiden Vorgeschlagenen statt, die die höchste Stimmenzahl erhalten haben.

Den Artikel sollte man auch mal lesen, um zu erfahren, dass im vierten Wahlgang ein Regierungswechsel auch zurzeit möglich wäre, wenn die Fraktion „DieLinke“ sich bei der Wahl enthält. Hannelore Kraft könnte, sofern „Die Linke“ nicht für einen CDU-Kandidaten Dr. Jürgen Rüttgers stimmt, Ministerpräsidentin einer Minderheitsregierung werden. Das will sie zurzeit nicht. (Es gibt einige falsche Berichterstattungen, in denen es heißt, sie könnte nicht.)
All die Instrumente hier könnten auch gegen Ihre Minderheitsregierung angeführt werden. Nichts anderes ist die derzeit amtierende Landesregierung.

Einen wichtigen Aspekt hat dies jedoch, der sich bei einem Blick ins Grundgesetz offenbart:

Grundgesetz

Art. 51 Abs. 1: Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Regierungen der Länder, die sie bestellen und abberufen. […]

Die Mehrheit im Bundesrat bleibt unverändert, sofern sich keine neue Landesregierung bildet. NRW wird im Bundesrat weiterhin „schwarz-gelb“ abstimmen. Dahin zielt die Kritik der Linken und der Grünen, wenn demnächst zur Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken und zum Sparpaket abgestimmt wird. Aber vielleicht will Hannelore Kraft gar nicht so lange „aus dem Parlament“ regieren, sondern nur ein paar Wochen.

Übrigens hilf auch kein Mißtrauensvotum, denn die Landesverfassung kennt wie das Grundgesetz als Lehre aus der Weimarer Republik nur das konstruktive Mitrauenvotum:

Art. 61 Abs. 1: Der Landtag kann dem Ministerpräsidenten das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen einen Nachfolger wählt.

Auch auf die Ministerauswahl hat das Parlament (direkt) keinen Einfluss:

Art. 52 Abs. 3.: Der Ministerpräsident ernennt und entläßt die Minister. Er beauftragt ein Mitglied der Landesregierung mit seiner Vertretung und zeigt seine Entscheidungen unverzüglich dem Landtag an.

Vielleicht überrascht es den einen oder anderen, aber es stimmt: Der Ministerpräsident kann wie der Bundeskanzler seine Minister ernennen und entlassen. Das dient dem Fortbestand einer funktionierenden Regierung. Wie beim Parlamentspräsidum kann ich mir vorstellen, dass plötzlich ein Minister als Stellvertreter des Ministerpräsidenten regiert.

Und ich will mal ohne Blick auf Ethik und Moral drauf hinweisen, das mit solchen Posten auch verhandelt werden kann, um eine Mehrheit zu erzielen. Posten der Minister, Staatssekretäre könnten als Preis für politisches Wohlverhalten an mehr oder weniger einflussreiche Abgeordnete vergeben werden. So könnte aus einer (rot-grünen?) Minderheitsregierung eine Mehrheitsregierung werden.

Art. 56 Abs. 2: Die Landesregierung erläßt die zur Ausführung eines Gesetzes erforderlichen Verwaltungsverordnungen, soweit das Gesetz diese Aufgabe nicht einzelnen Ministern zuweist.

Alle Verordnungen und Änderungen hieran können weiter bearbeitet werden. Das Parlament kann ggf. darauf einwirken, ggf. per Gesetzänderungsverfahren, aber fraglich ist, ob das Wissen aus den Ministerin im notwendigen Umfang zur Verfügung steht. Ich denke, hier gelten Erfahrungen, die auch in jeder Kommune gemacht werden können: Das Parlament kann nicht die Arbeit der Verwaltung ersetzen.

Zwischen der Arbeit, z.B. in Kommunen, und in Landtag/Bundestag besteht auch ein wesentlicher Unterschied. Die Trennung zwischen Bereitstellung von Geld im Rahmen eines Haushalts und der Bereitstellung des Geld für ein Projekt ist deutlich stärker getrennt. Im Prinzip lässt sich sagen, dass für die Vergabe von Geldern aus Förderprogrammen die Landesregierung zuständig ist. Und insofern Vergaberichtlinien nicht Gesetze sind sondern Verordnungen oder eh aus Bundes- oder Europarecht herrühren, kann die Landesregierung halt weiter … regieren.

Art. 58: Die Landesregierung ernennt die Landesbeamten. […]

Hier ändert sich nichts, nur dass der Ton schärfer werden wird bei politisch motivierten Entscheidungen. Aber hier ist natürlich auch Verhandlungsmasse drin, da die Parteien ja Anhänger in der Landesverwaltung haben.

Artikel 62
Abs. 1: Der Ministerpräsident und die Minister können jederzeit zurücktreten.
Abs. 2: Das Amt des Ministerpräsidenten und der Minister endet in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Landtags, das Amt eines Ministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten.
Abs. 3: Im Falle des Rücktritts oder einer sonstigen Beendigung des Amtes haben die Mitglieder der Landesregierung bis zur Amtsübernahme des Nachfolgers ihr Amt weiterzuführen.

Das ist der Artikel der normiert, dass die alte Landesregierung mit allen Rechten geschäftsführend im Amt bleibt. Den Zustand ohne Regierung gibt es nicht.

Wenn das Parlament einen Ministerpräsidenten oder Minister aus eigener Unfähigkeit jedoch nicht auf dem politischen Weg ablösen kann, so kann es das rechtlich versuchen. Hierfür ist eine Amtsenthebungsverfahren vorgesehen:

Art. 63

Abs. 1: Der Ministerpräsident und die Landesminister können wegen vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes vor dem Verfassungsgerichtshof angeklagt werden. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Landtags gestellt werden. Der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Landtags. Die Anklage wird von einem Beauftragten des Landtags vertreten.

Abs. 2: Stellt der Verfassungsgerichtshof fest, daß der angeklagte Ministerpräsident oder Minister einer vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes schuldig ist, so kann er ihn des Amtes für verlustig erklären. Durch einstweilige Anordnung kann er nach Erhebung der Anklage bestimmen, daß der Ministerpräsident oder Minister an der Ausübung seines Amtes verhindert ist.

So kann ich mir vorstellen, dass am Ende eines (nicht zwingend vor abgehaltenen) Untersuchungsausschusses der Antrag auf Anklage eines Ministers oder sogar des Ministerpräsidenten stehen könnte. Allerdings ist das bezüglich dieser Vorschrift ein zahnloser Tiger, denn für den Beschluss – nicht den Antrag! – wird eine Zweitdrittel-Mehrheit benötigt. Da könnte das Parlament ja mit weniger eine neue Landesregierung wählen. Die Vorschrift taugt also gerade ‚mal zum Rasseln.

Auch die folgende Vorschrift taugt, falls so ein Fall in der jetzigen Situation auftreten sollte, weil zum Beispiel ein entsprechendes Gremium neu besetzt werden soll, nur zum Rasseln:

Art. 64 Abs. 3: Die Wahl in den Vorstand, Verwaltungsrat oder Aufsichtsrat industrieller oder ähnlicher den Gelderwerb bezweckender Unternehmungen dürfen Mitglieder der Landesregierung nur mit besonderer Genehmigung des Hauptausschusses annehmen. Der Genehmigung durch die Landesregierung bedarf es, wenn sie nach ihrem Eintritt in die Landesregierung in dem Vorstand, Verwaltungsrat oder Aufsichtsrat einer der erwähnten Unternehmungen tätig bleiben wollen. Die erteilte Genehmigung ist dem Landtagspräsidenten anzuzeigen.

Allerdings will ich mal darauf hinweisen, dass Posten in den genannten Aufsichtsgremien – besetzt durch Landesregierung oder Parlament – auch politische Verhandlungsmasse sein können.

Dritter Abschnitt – Die Gesetzgebung

Art. 67: Gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz kann die Landesregierung innerhalb von zwei Wochen Bedenken erheben. Der Landtag entscheidet sodann, ob er den Bedenken Rechnung tragen will.

Das ist nun eine äußerst interessante Vorschrift, wenn „aus dem Parlament“ heraus regiert werden sollte. Ich würde dann von der Minderheitsregierung quasi erwarten, dass sie widerspricht, wenn ein beschlossenes Gesetz gegen Ihre Ziele verstößt. Da ein parlamentarischer Dauerwahlkampf geführt würde, gäbe dies der Regierung nochmals medienwirksam die Möglichkeit, per aufschiebendem Veto ihren abweichenden Standpunkt zu unterstreichen, ja ggf. auf übersehene Problem hinzuweisen. So etwas war auch in Hessen geschehen, wo ein Gesetz mit einer kleinen Änderung zweimal beschlossen werden musste.

Art. 67a: Volksinitiativen…

Die Möglichkeit, dass eine Partei eine Volksinitiative initiiert besteht wie auch jetzt weiterhin. Das ist aber weniger interessant. Von Interesse ist Artikel 68 zu Volksentscheiden, die auch von der Landesregierung initiiert werden können. Dass kann zu einer Auflösung des Landtags durch die Landesregierung führen, wie es in Art. 35 vorgesehen ist und ich auch dort kommentiert habe.

Art. 71 Abs. 1: Die Gesetze werden von der Landesregierung unverzüglich ausgefertigt und im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet. Sie werden vom Ministerpräsidenten und den beteiligten Ministern unterzeichnet.

Das hat für eine gegen die Landesregierung gerichtete parlamentarische Mehrheit natürlich Charme, wenn ein Ministerpräsident ein Gesetz unterzeichnen muss, dass seine Regierung ablehnt. An die Pflicht zur Unterzeichnung von Gesetzen hängt die Frage zum Recht der Verweigerung der Unterschrift, wenn das Gesetz nach Meinung des Ministerpräsidenten ggf. gegen die Verfassung verstoße. Aber ich hoffe, dass es zu so einer Verfassungskrise nicht kommen wird. Aber das Gesetzgebungsverfahren mit Einspruchsmöglichkeit und Pflicht zur Unterzeichnung durch den Ministerpräsidenten zeigt, wo dem politischen Gegner Nadelstich verpasst werden könnten. Politisch wird dann immer einkalkuliert werden müssen, ob der Wähler dafür Verständnis hat.

Sechster Abschnitt – Die Verwaltung

Art. 77: Die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung und die Regelung der Zuständigkeiten erfolgt durch Gesetz. Die Einrichtung der Behörden im einzelnen obliegt der Landesregierung und auf Grund der von ihr erteilten Ermächtigung den einzelnen Landesministern.

Dieses Zusammenwirken von Parlament und Regierung wird deutlich konflikträchtiger. Da Verwaltungsorganisation aber weit weg vom Wähler erfolgt, dürfte dass lange nicht relevant werden.

Siebter Abschnitt – Das Finanzwesen

Was macht die Landesregierung eigentlich, wenn das Parlament keinen neuen Haushaltsplan beschließt, der lt. Art. 81 alle Einnahmen und Ausgaben enhalten muss? Entscheidend ist, dass nicht nur über Teile von Ausgaben entschieden werden kann. Mehrausgaben müssen also ggf. mit Einsparungen kompensiert werden. Das macht es parlamentarischen Gelegenheitsmehrheiten deutliche schwerer zusammenzufinden.

Art. 82

Ist bis zum Schluß eines Haushaltsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Landesregierung ermächtigt,

1. alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind,

a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,

b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Landes zu erfüllen,

c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen, für die durch den Haushaltsplan des Vorjahres ereits Beträge bewilligt worden sind;

2. Schatzanweisungen bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes für je drei Monate auszugeben, soweit nicht Einnahmen aus Steuern und Abgaben und Einnahmen aus sonstigen Quellen die Ausgaben unter Ziffer 1 decken.

Art. 84: Beschlüsse des Landtags, welche Ausgaben mit sich bringen, müssen bestimmen, wie diese Ausgaben gedeckt werden.

Der alte „schwarz-gelbe“ Haushalt als Ausfluss der Politik der alten Landtagsmehrheit kann vorerst weiterlaufen. (Er wird quasi überrollt. Da gibt weitere Regelungen außerhalb der Verfassung zu.) Innovationen sind nur insoweit möglich, als dass sie die Vergabe der im Haushalt für die unterschiedlichen Bereiche und Zwecke vorgesehenen Mittel betrifft, die durch die Landesregierung vorgesehen sind. Minderausgaben sind dabei auch denkbar. Da auch (zurzeit wieder) mit steigenden Einnahmen gerechnet wird, würde sogar bei Anhalten der Situation in NRW sogar gespart, da neue Ausgaben nicht entstehen würden und eine Ausweitung – auch nur als Inflationsausgleich – nicht erfolgen würden. Mehrausgaben bei tariflich bedingten Mehrausgaben fürs Personal wären dann etwas, was zu Problemen führen könnte. Rechtlich ist die Landesregierung verpflichtet, Löhne und Gehälter weiterzuzahlen. Aber sie könnte für die Mehrausgaben Stellen einsparen bzw. nicht mehr neu besetzen. Alternativ müsste der Finanzminister in den Landtag, um eine überplanmäßige Ausgabe zu bewilligen:

Art 84:

Abs 1: Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.

Abs. 2: Zu überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben hat der Finanzminister die Genehmigung des Landtags einzuholen.

Kurzfristig muss das nicht zum Problem werden mit dem Haushalt. Je länger die Situation anhält, dest problematischer wird das aber. Was wäre, wenn Opel eine außerplanmäßige Ausgabe erforderlich machen würde? Dann wäre diese hoffentlich nicht umstritten. Aber ggf. geht es um eine Bürgerschaft oder bleibt im Rahmen der bisherigen Mittel. Es hängt also sehr von den Umständen ab.

Fazit
Kurzfristig stellt die Situation einer geschäftsführenden Landesregierung ohne Mehrheit im Landtag kein Problem dar. Es wird einfach weiterregiert. Die Situation wird aber je länger sie dauert immer schwieriger. Aufgrund kurzfristig auftretender Problemlagen können dabei Sprünge auftreten, d.h., Problemlagen die (umstrittene) Gesetzesänderungen erfordern, würden nicht regelbar sein.

Die Landesverfassung kennt Regelungen, wie sich die Landesregierung Forderungen des Landtags, der sie eigentlich wählt, erwehren kann. Dies gilt erst recht auch umgekehrt. Hier gibt es bisher ungewohnte und bisher nicht genutzte Handlungsoptionen. Diese bei rechtlicher Möglichkeit auch politisch wirklich zu nutzen, wird jede Partei/Fraktion aber immer vor dem Hintergrund von Neuwahlen bedenken müssen. Insofern wären Sie Teil eines Dauerwahlkampfes der jeweils anderen Seite, die Schuld für schlechte Regierung und Politik zuzuschieben.

Der Ausweg hieraus wäre ein anderer, noch stärker kooperativ geprägter Politikstil. Aber dann könnte das Parlament auch gleich eine neue Regierung bilden. Das kategorische Nein der Grünen zu einer Jamaika-Koalition und die fundamentalistische Ablehnung der SPD einer großen Koalition verhindern dies – sind nicht dieses kooperative Verhalten. Beide Optionen sind damit ausgeschlossen.

Kommt es also nicht umgehend – spätestens nach der Neuwahl des Bundespräsident am 30. Juni 2010 – zu einer Neuwahl in NRW oder zur Bildung einer neuen Koalitionsregierung, dann sind schwierige und heftige Auseinandersetzungen in Düsseldorf mit viel politischer Berichterstattung zu erwarten. Wie das halt einst in Hessen war. Das Land hat dann eine im technischen Sinne funktionierende Regierung – mehr auch nicht.

Bei der Landeszentrale für Politische Bildung NRW kann übrigens ein Doppelband Landesverfassung und Grundgesetz bestellt werden.

3 Comments

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  3. Maxim

    6. Februar 2012 at 15:48

    Danke für die Recherche. Hat mir auf jeden Fall geholfen, ein wenig mehr Durchblick in der Angelegenheit Landesverfassung zu bekommen.

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